Chile: Persönliche Eindrücke und Erfahrungen (Original erschienen 04.04.2011 / 16.04.2011, zwei Teile)

Sodele, es wird Zeit für die Chile-Zusammenfassung. Ca. drei Monate war ich in diesem für mich bisher interessantesten Land auf meiner Reise.

(Meine Artikel über die Länder Südamerikas sind umfangreiche, einzigartige, ehrliche, natürlich subjektive, aber dadurch sehr persönliche Eindrücke, wie ich sie jeweils aktuell bei meinem Aufenthalt im jeweiligen Land erlebte. Sie werden daher persönliche Meinungen enthalten und “die Fakten” entspringen keiner wissenschaftlichen Recherche und können somit Unschärfen aufweisen)

Eine der bekannten Bahnen in Valparaíso, bemalt in den Nationalfarben. Die Chilenen zeigen gerne Flagge
Eine der bekannten Bahnen in Valparaíso, bemalt in den Nationalfarben. Die Chilenen zeigen gerne Flagge

Drei Monate, von denen vor allem drei Dinge immer in sehr positiver Erinnerung bleiben werden: Die unglaubliche Vielfalt und schönen Orte in der Natur, viele bemerkenswerte Begegnungen mit den Einheimischen und der Gegensatz von auf der einen Seite Infrastrukturen und Zustände eines der reichsten und entwickeltsten Länder Südamerikas und Einfachheit und z.T. bescheidenes, ärmliches Leben sowie eben einfacher Infrastruktur (wie man es in SA erwarten würde) auf der anderen Seite.

Wenn man aus einem der ärmeren Länder Südamerikas wie Peru nach Chile einreist, mag einem zunächst auffallen, dass auf den Straßen Privatautos rumfahren und in den Hofeinfahrten stehen, es gibt auf einmal weniger Menschen, die auf der Straße Obst, Brot, Empanadas, Süßes verkaufen, es gibt Ampeln und in den modernen Innenstädten von Arica, La Serena, Santiago beispielsweise finden sich teure Modeläden und internationale Fast Food-Ketten, was ich in Peru allenfalls im Touristenviertel von Lima angetroffen habe.

Die Menschen gehen in modernen Klamotten (die sauber sind, was auch nicht selbstverständlich ist) auf die Nationalfeiertagsfestivitäten (am WE um den 18.09.2010, 200 Jahre Unabhängigkeit wurde gefeiert) und Essen Süßes und Fettes. Menschen sind teilweise fülliger, wie auch in Industrieländern (eine Chilenin hat mir mal erzählt das komme daher, dass die Menschen indigener Herkunft das moderne Essen nicht so gut verarbeiten können (viele Chilenen haben indigene Einflüsse)). Das Preisniveau für Essen, Transport, Unterkunft ist in Chile eine ganze Nummer höher als z.B. in Peru.

Verlässt man allerdings die Stadtzentren und/oder die große Nord-Süd-Autobahn (südlichster Teil der Panamericana) kann es schon nach kurzer Fahrt über holprige Schotterpisten gehen. Wir reden nicht von Privatstraßen, sondern von internationalen Verbindungswegen nach Argentinien. Sieht man sich die Behausungen an, wird man vorwiegend einfache Holzhütten, fast immer mit Holz beheizt, antreffen. Öffentliche Einrichtungen (Post, Touriinfo, Stadt/-Gemeindeverwaltung, etc.) werden einfacher oder existieren gar nicht.

Bekommt man Einblick in Privathäuser stellt man fest, dass vor allem in ländlichen Gegenden auch noch mit Holz gekocht wird, man steht dort bei Betreten des Hauses i.d.R. direkt in der Küche. Die Verhältnisse sind einfach, man lebt auf engem Raum (zumindest im Vergleich mit westlichen Industrieländern), spart an Luxusgütern, trägt einfache Klamotten, ist bescheiden und isst z.T. verhältnismäßig wenig. Im Garten hält man sich oft eigene Hühner.

Chile hat bezogen auf seine Gesamtgröße eine extrem lange Küstenlinie. Hier: Felsige Küstenlandschaft auf Chiloé, größte Insel Chiles
Chile hat bezogen auf seine Gesamtgröße eine extrem lange Küstenlinie. Hier: Felsige, menschenleere Küstenlandschaft auf Chiloé, größte Insel Chiles

Man sieht in Chile genau wie in den noch ärmeren Ländern bettelnde Menschen auf der Straße. Und das nicht unbedingt viel weniger als in Peru, was auch daran liegen mag, dass es dort weniger war als gedacht. Bemerkenswertes hierzu: Mir hat es den Anschein gemacht, dass die Bettelei in Chile oft reines, teils sehr “plumpes” Betteln war, während die Leute in Peru durch den Verkauf von allem Möglichen (z.B. selber gemachtes Essen, verschiedenste Artikel, Arbeitskraft: Schuhe putzen, Rasur,…) einfallsreicher erschienen.

Diese Gegensätze zwischen arm und reich, die scheinbar ungleichmäßige Verteilung der für öffentliche Einrichtungen verwendeten Gelder scheint für  mich als außenstehenden das vielleicht größte Problem des Landes zu sein. Eine Chilenin hat mir mal berichtet, das Chile zu den reichsten Ländern der Welt (Rohstoffvorkommen, vor allem im Norden) gehört, sie nannte Platz 19!! Dieses Geld scheint nicht bei den Leuten anzukommen. Stattdessen verschleudert die nicht gerade beliebte, rechte Regierung anscheinend das Geld für z.B. braune “Nazi-Klamotten” (O-Ton) für die Polizei und investiert Millionen in die Marine. Gleichzeitig macht sich das Volk darüber lustig, gegen wen man den jemals nochmal Krieg führen müsste. Gleichzeitig – und das ist das was man uns am Öftesten erzählt hat – ist der Zugang zu medizinischer Versorgung und Bildung schweineteuer (mehrere hundert Euro pro Monat fürs Studium, höchst genannter Betrag war 1000 Dollar pro Monat) und kann sich somit ein Großteil der Bevölkerung einfach nicht leisten.

Nalca, rhabarber-ähnliche Pflanze, die vor allem im Süden des Landes anzutreffen ist und häufig den Weg in chilenische Küchen findet
Nalca, rhabarber-ähnliche Pflanze, die vor allem im Süden des Landes anzutreffen ist und häufig den Weg in chilenische Küchen findet

Trotzdem oder viell. gerade deshalb haben wir in Chile  ganz viel (Gast-)Freundschaft und Hilfsbereitschaft erfahren. Man hat uns mit dem Auto mitgenommen, nach Hause eingeladen, zum Grillen oder Essen oder Café eingeladen, ins Familienleben aufgenommen, beim Unterkunft suchen geholfen,…

Ich werde nie vergessen, einen Tag bei Sandra und Familie auf dem Land verbracht zu haben, spontan bei “Oma” Norma eine Übernachtungsmöglichkeit (mit Doppelbett) fürs Bierfest bekommen zu haben, bei der Familie in Santiago übernachtet und Kässpätzle gekocht zu haben, in Ancud als Hospedaje-Gast fast 2 Wochen bei und mit der Familie gelebt und die Hütte gestrichen zu haben, von eben dieser Familie als Dank ein Weihnachtsgeschenk und eine Einladung nach Bogotá in Kolumbien bekommen zu haben (der Mann der Pensions-Besitzerin ist Kolumbianer und hat eine Wohnung in Bogotá). Am 1. und 2. Weihnachtsfeiertag (!!) zum Ausflug mit Picknick bzw. Grillen eingeladen worden zu sein. Bei Bastian und Pamela 2 Tage verbracht zu haben, auf der Fähre aufgrund deutschen Blutes nix bezahlt zu haben, bei Catalina im Hostal bei Café gesessen zu haben, während sie für mich andere Hostals nach freien Betten abtelefonierte.

In Chile haben wir nicht nur viele nette Bekanntschaften gemacht, sondern auch Freundschaften geschlossen, zu denen regelmäßiger Kontakt besteht und die man zumindest teilweise sicher einmal wieder sehen wird…

Atemberaubend und dabei sehr abwechslungsreich zeigt sich die Natur innerhalb Chiles Landesgrenzen: Vom höchsten See der Welt vor der malerischen Kulisse eines Vulkans direkt an der Grenze zu Bolivien im Nordosten des Landes (Nationalpark Lauca), über die bekannten Naturschauspiele in der Atacama-Wüste, das fast immer sonnenverwöhnte Elqui-Tal (wo Piscoschnaps- und Weintrauben wachsen) bis hin zu den grünen Landschaften in den Regionen der Seen sowie Flüsse im Süden. Letztere bieten unendliche Möglichkeiten für Wanderungen, Nationalparkbesuche und keine Speicherkarte der Welt hätte genug Platz, wollte man jede schöne Szene festhalten. Weiter südlich bleibt dann immer noch die Insel Chiloé mit ihren Felsküsten.

Am höchsten See der Welt im Nationalpark Lauca direkt an der chilenisch-bolivianischen Grenze. Vulkane, wie hier hinter dem See, sind typisch für Chile, ungefähr 2000 sollen auf chilenischem Boden stehen
Am höchsten See der Welt im Nationalpark Lauca direkt an der chilenisch-bolivianischen Grenze. Vulkane, wie hier hinter dem See, sind typisch für Chile, ungefähr 2000 sollen auf chilenischem Boden stehen

Die weltberühmte, teilweise noch sehr abenteuerliche Carretera Austral sowie den anscheinend herausragendsten Nationalpark, Torres del Paine, habe ich noch nicht mal gesehen (später habe ich ihn dann doch noch kennengelernt, Anm. d. ulmis Reisen – Redaktion). Genauso wenig wie das gerade auch für Seefahrer bekannte Feuerland, den Beagle-Kanal, Magellanstraße und das berüchtigte Kap Hoorn, anscheinend größter Schiffsfriedhof der Welt. Nicht zuletzt hat Chile mehrere Tausend Kilometer Küste mit angeblich für Surfer attraktiven Stränden und „sanfttouristischen“, hübschen Küstendörfchen wie z.B. Maicolpué, wo wir eine Woche eine Hütte mieteten.

Ansonsten ist uns aufgefallen: Die Chilenen sind lustige, offene, oft sehr interessierte Menschen. Dies gilt für Jung und Alt. Häufig besitzen sie schon durch ihr aussehen, Haltung, Mimik eine bestimmte Komik, die sie ganz ungezwungen und ungespielt witzig erscheinen lässt. Sie haben meist auch sehr viel Humor (Im kleinen Kreis fällt auch mal gerne ein Witz der einem sich dem Political-Correctness-Druck beugenden Deutschen nicht über die Lippen käme…). Sarkasmus, Zynismus, Ironie sind ganz hoch im Kurs.

Sie jammern und meckern gerne über alles Mögliche, die hohen Kosten, die Regierung, was sie sich nicht leisten können, über andere Leute. Das passiert normalerweise in den eigenen vier Wänden und im Gegensatz zu den Nachbarn aus Argentinien bringen sie ihren Protest nicht so sehr auf die Straße (dahingehend sind die Chilenen etwas neidisch auf die Argentinier). Der Nationalstolz ist recht groß, die Landesflagge wird gerne gezeigt. 2010 wurde die Unabhängigkeit 200-jährig gefeiert, wobei die eigentliche Unabhängigkeit viel später kam und eher der entscheidende Unabhängigkeitskampf-Auftakt gefeiert wird, was andere Länder aber auch so machen (Details, siehe Geschichtsbücher).

Lieblingswein aus meinem Lieblingsland in Südamerika. Dieser kostet nur ein paar Euro
Lieblingswein aus meinem Lieblingsland in Südamerika. Dieser kostet nur ein paar Euro

Vor allem im Süden haben die Chilenen häufig Wurzeln deutscher Einwanderer. Genaueres über Herkunft wissen sie in der Regel nicht. Nicht nur in der Küche (Kuchen (der auch genau so heißt), Bier,…) merkt man das, sondern auch in so mancher Gepflogenheit: zu Kaffee und Kuchen treffen, Verwendung von Konserven-Lebensmitteln (!!).

Chilenisches Essen/Gerichte/Getränke:

Es scheint deutlich weniger klassische, traditionelle Gerichte zu geben als z.B. in Peru. Traditionell gibt es viel Fisch- und Meeresfrüchtegerichte (Curanto, das traditionelle Essen von Chiloé, die kalte Meeresfrüchtesuppe (Mariscal), die ich auf dem Markt in Santiago hatte. Empanadas gefüllt mit Meeresfrüchten (z.B. Maloco, Loco genannt).

Weiteres traditionelles Gericht: Porotos Granados, ein Bohnengericht. Die Empanadas sind größer als in Peru und Argentina, fast immer im Ofen gebacken und nicht frittiert (was der Normalfall in Peru wäre). Klassiker ist die Empanada pino mit Hackfleisch, hartgekochtem Ei, Oliven, Zwiebeln. Sopaipilla, eine Art Fasnetsküchle, mit pikanter Soße (Ají oder Pebre, ebenfalls klassisch) drüber.

Cazuelas (Suppen, meist in “Bouillon”-Art). Pastel de Choclo (Maisauflaufküchle). Mote con Huesillo (Getränk mit Weizenkeimen und Aprikosen). Pan con chicharrón (Brot mit Griebenfleisch eingebacken). Über allem steht jedoch die Popularität des Completo, der chilenischer Hot Dog mit Avocadopampe, Ají, Ketchup, Mayo, Senf, Sauerkraut, Tomatenstücke.

Der "Completo", der Chilenen liebster Snack: Hot Dog mit Avocadopampe, Tomaten und Zwiebeln (auch mit Sauerkraut erhältlich...)
Der „Completo“, der Chilenen liebster Snack: Hot Dog mit Avocadopampe, Tomaten und Zwiebeln (auch mit Sauerkraut erhältlich…)

In Chile gibt es sehr gute Biere, gebraut nach deutscher Braukunst. Biere, wo man selbst in Deutschland suchen muss (vor allem in Bezug auf große Auswahl und Anzahl sehr guter Biere von ein und derselben Brauerei). Sehr gute, günstige Weine. Terremoto (heißt Erdbeben): Wegschüttgetränk (Cocktail). Auf Märkten gibt´s Fruchtsaftstände, Säfte frisch gemixt, mit oder ohne Milch. Chicha = Federweißer.

In Chile gibt es sogenannte Shopperias, (Bier-)Trinkhallen, wo nur Männer ab 18 reinkommen. Fußball ist beliebt, die Stadien sind jedoch klein, Ligaeuphorie konzentriert sich auf wenige Clubs (aus Santiago). Wie üblich in Südamerika lieben die Chilenen Facebook, Feisbu gesprochen und teilweise sogar in der Presse so gesprochen.

Das Land wird immer wieder von Erdbeben gebeutelt. Die Comic-Persönlichkeit ist der Condorito (interessante Geschichte zur Entstehung nachlesen!). 1000-Pesos (ca. 1,50 Euronen) werden im Chilenismo liebevoll Luca genannt. Chile liebt und pflegt seinen Chilenismo, es gibt sogar eigene Wörter, die sogar konjugiert werden. Sogar Zeitungen schreiben im Chilenismo, Politiker reden im Chilenismo. Ausländer, sogar Spanier haben Probleme zu verstehen. Liegt zum anderen aber auch an undeutlicher und fauler Aussprache.

Chile gilt als eines der teuersten Länder in Südamerika, wenn man aber ein Bisschen sucht, findet man günstige Unterkünfte, billiges Essen, kann beim Transport sparen (Trampen). Meine Ausgaben lagen bei ca. 23,60 Euro pro Tag, für Chile verhältnismäßig billig. Die Chilenen sind ganz groß im Öffentlich Knutschen. Während dem ganz großen Erdbeben im Februar 2010 (oder vielmehr danach, als vieles zerstört war und die Elektrizität ausfiel) wurden einige Kinder gezeugt, von einem Babyboom wurde geredet.

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11 Gedanken zu „Chile: Persönliche Eindrücke und Erfahrungen (Original erschienen 04.04.2011 / 16.04.2011, zwei Teile)“

  1. Toller Bericht. Was ich beim Essen vermisse sind sog. Aves, das sind absolut überladene, matschige Sandwiches mit viel Avocado, ähnlich Completos.

    Mein Lieblingsladen in Puerto Varas hat viele Bilder online:
    https://www.facebook.com/bajon.puertovaras/photos_all

    Was ich ebenfalls vermisse sind ganz klar Chorillana, bzw. im Süden Pichanga, ähnlich wie Pique Macho in Bolivien/Peru: Geschnetzeltes und Würstchen mit Pommes und als Topping Spiegeleier: Instant Herzinfarkt und ziemlich gut in einer Gruppe mit einem Schopp Cerveza!

    Auch vermisse ich ganz stark Café con Piernas, Café mit Beinen. Du warst wahrscheinlich anständiger als ich 😉
    http://www.flocutus.de/kaffee-mit-beinen-caf-con-piernascoffee-with-legs-caf-con-piernas/

    1. Hallo Flo,
      Danke! Und danke für Deine Ergänzungen.

      Deine Beschreibung („Instant Herzinfarkt“) trifft’s wirklich gut. In Pucón haben wir nach einer durchzechten Nacht so einen Haufen Cholesterin verhaftet, mit einer Flasche „Riesen-Bier“ (1 Liter).

      In einem Café con Piernas war ich nie, aber ich kenne Deinen tollen Artikel dazu…

      Dafür war ich in Calama mal in einer (Fussball-)Kneipe, wo die Fenster von außen blickdicht waren, nur für Männer Zutritt erlaubt war und die Damen in „schönen“ Klamotten bedienten.
      siehe: http://www.ulmisreisen.com/2015/06/11/chile-kurz-reisetipp-ein-bier-trinken-gehen-im-bier-land-chile/

      …wo übrigens Dein „Café con Piernas“-Artikel verlinkt ist.

      Grüßle
      ulmi

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