Bolivien: Persönliche Eindrücke und Erfahrungen (Original erschienen 19.01.2012)

Bolivien ist eines der ärmsten Länder Südamerikas. Es ist bei vielen Rucksacktouristen sehr beliebt, da es zum einen sehr viel Ursprünglichkeit zeigt, weil es nicht zu den entwickeltsten Ländern zählt und deswegen die Moderne noch nicht allzu viel am Erscheinungsbild des Landes verändert hat.

(Meine Artikel über die Länder Südamerikas sind umfangreiche, einzigartige, ehrliche, natürlich subjektive, aber dadurch sehr persönliche Eindrücke, wie ich sie jeweils aktuell bei meinem Aufenthalt im jeweiligen Land erlebte. Sie werden daher persönliche Meinungen enthalten und “die Fakten” entspringen keiner wissenschaftlichen Recherche und können somit Unschärfen aufweisen)

Der bolivianische Grenzposten im Chaco, Grenzgebiet zu Paraguay
Der bolivianische Grenzposten im Chaco, Grenzgebiet zu Paraguay

Zum anderen ist das Preisniveau sehr niedrig, Bolivien ist – innerhalb der großen Länder des Kontinents auf jeden Fall und im Kreise aller südamerikanischen Länder sehr wahrscheinlich – das preisgünstigste Reiseziel. Dabei hat es touristisch so gut wie alles zu bieten, außer Meer. Die Hauptattraktionen liegen alle recht kompakt beieinander und so kann man z.B. in einem dreiwöchigen Urlaub den Großteil dieser besuchen. Dies ist in anderen Ländern wie Brasilien, Argentinien, Peru, Chile nicht so einfach möglich. Im Falle Boliviens ist das aber auch gleichzeitig ein Nachteil, da die Reiseroute durchs Land dadurch ziemlich vorgezeichnet ist. Abseits der Hauptattraktionen hat Bolivien oft tatsächlich nicht viel zu bieten bzw. sind die Gegenden, Städte, etc. eher trostlos.

Es gibt auch bildhübsche bolivianische Städte. Hier ein Blick über die Dächer von Sucre, auch "die weiße Stadt" genannt
Es gibt auch bildhübsche bolivianische Städte. Hier ein Blick über die Dächer von Sucre, auch „die weiße Stadt“ genannt

Bolivien ähnelt seinem Nachbarland Peru in vielen Punkten: (Hoch-)Andine Kultur mit Ihrer Kleidung und Musik, Leute versuchen durch Verkauf von allem möglichen auf der Straße und in kleinen Läden sowie natürlich auf Märkten sich ihr täglich Brot zu verdienen.

In diesem Foto steckt ganz viel Bolivien
In diesem Foto steckt ganz viel Bolivien

Gearbeitet wird dabei fast jeden Tag und von morgens bis abends. Wie Peru besitzt auch Bolivien von Hochland bis Dschungel fast alles bzgl. Geographie. Die meisten wichtigen Städte des Landes liegen in hohen bis sehr hohen Lagen. Sehr hohe Lage bedeutet das sog. Altiplano (Hochland), das sich über große Teile Boliviens ausdehnt.

Was noch mehr zur Geltung kommt als in Peru sind die großen, bunten Märkte, die nicht selten in riesen Gebäuden mit mehreren Stöcken stattfinden und manchmal ganze Viertel in Größe eines ganzen Dorfes einnehmen. Ein Argentinier (mit bolivianischen Wurzeln) hat mir die Bolivianer (zumindest die nach Nord-Argentinien ausgewanderten) mal als außerordentlich arbeitsam beschrieben. Der Bolivianer arbeite so lange überdurchschnittlich viel bis er sich sein eigenes Auto leisten kann. Dann sei er zufrieden und fortan kümmere sich die Frau ums Geld und es wird gespart bis sie sich ein Haus bauen können. Außerdem würden sie nicht stehlen wie die Peruaner, die ins Land kommen.

Auch Bolivien hat die ein oder andere historische Stätte, an denen Ruinen von einem der  alten Völker der Pre-Inka oder der Inka stehen. Leider versteht es der Bolivianer nicht, Information über diese Stätten an den Besucher rüberzubringen. Er versteht es nur, Geld dafür zu kassieren. Nicht einmal ein bei den Peruanern deutlich sichtbarer Stolz für seine Geschichte und dadurch meist natürliche Motivation dem Besucher ein Bisschen was zu erklären, lässt er durchblicken. So ist es keine Seltenheit, dass man so eine Stätte besucht und 0 (in Worten: Null) lernt, um was es sich handelte.

Beim Metzger...in einer heißen Gegend
Beim Metzger…in einer heißen Gegend

Viele Bolivianer beten, bevor sie mit dem Essen beginnen.

Ich habe sehr nette, bescheidene und gastfreundliche Menschen kennengelernt. Einige Male sind wir per Anhalter gefahren, wobei wir sehr gute Erfahrungen machten. In Santa Cruz habe ich “Couchsurfing” gemacht und der Gastgeber hat mehr als nur seine Couch zum Schlafen gegeben, sondern hat bis zu 10 Rucksacktouristen gleichzeitig beherbergt und sie haben mit seinem ganzen Vertrauen gehaust, während er am Arbeiten war. Seine Eltern haben mich zum Essen in ihr Haus eingeladen. Ein pensionierter Professor hat mich in seinem Auto mitgenommen und beim Aussteigen habe ich meinen Notizblock mitsamt seiner Visitenkarte im Auto vergessen. Als ich kurz später ins Internet-Café bin, um zu sehen, ob er mir vielleicht (ich hatte nicht viel Hoffnung) geschrieben hatte, hat´s mich positiv überrascht: Er hatte mir schon geschrieben und mir seine Telefonnummer mitgeteilt. Und das obwohl er mit Mailen nix am Hut hat und immer seine Kinder bittet, für ihn das Mail-System aufzurufen. Ich rief ihm an und kurz später kam er mit meinen Sachen zurück an den Punkt, an dem er mich rausgelassen hatte. Außerdem hat er mich eingeladen, wenn ich wieder in der Stadt wäre, bei ihm unterkommen zu können.

Bei meiner Wanderung während drei Tagen in den Yungas zwischen La Paz und Coroico habe ich ausschließlich sehr nette, interessierte Menschen getroffen. In einer sehr abgelegenen Gegend mit sehr einfachen Verhältnissen, von der ich schon erwartet hatte, dass man eventuell mit spanisch gar nicht so weit kommt, weil sie dort alle Aymará (native Sprache, in Gegend um La Paz ist diese weiter verbreitet als das Quechua, welches mehr in der Gegend um Cochabamba gesprochen wird) sprechen würden.

Das Bisschen, was ich bei einheimischen Bekannten gesehen habe und in Erzählungen anderer gehört habe, deutet darauf hin, dass die Bolivianer nicht viele Freundschaften mit ihren Landsleuten besitzen.

Die Bolivianos sind ein Handelsvolk. Kaum eine Sache, die man erstehen möchte, die nicht verhandelbar wäre. Ab und an endet das in einem beleidigten Verkäufer…

Agroindustrie, Abbau von Bodenschätzen und mehr und mehr der Tourismus bilden die Hauptzweige der bolivianischen Wirtschaft. Außerdem scheinen viele Menschen Billigwaren aus dem Ausland (z.B. China) zu importieren und damit zu handeln oder direkt zu verkaufen. Weiteres großes Arbeitsfeld ist das Transportwesen, da die meisten Leute auf die verschiedensten öffentlichen Verkehrsmittel (Taxis, Busse, Kleinbusse) angewiesen sind.

Werbung auf Mauern gemalt, sieht man in Bolivien oft
Werbung auf Mauern gemalt, sieht man in Bolivien oft

In Bolivien herrscht scheinbar viel Rassismus, gegenüber und zwischen indigenen Volksgruppen, v.a. zwischen den sog. “Collas” und den sog. “Cambas”. Da fallen Sätze, Schimpfwörter, Internetkommentare, wo in Deutschland schon lange der Verfassungsschutz geklingelt hätte. Bolivien selbst hat oft einen schlechten Ruf bei seinen Nachbarn, was z.B. Paraguay nicht so sehr hat.

In Bolivien wird scheinbar sogar in Nationalparks Coca angebaut. Und zwar nicht nur die Coca, die später für das legale Kauen oder Tees verwendet wird…

Das native Volk der Guaraníes, für das vor allem Paraguay (Währung heißt so, die zweite offizielle Sprache ist das Guaraní, Spitzname der Paraguayer ist “Los guaraníes”,…) bekannt ist, hat auch in Bolivien seine Anteile. (Anmerkung: die Guaraníes kamen anscheinend in ihrer weitesten Ausdehnung bis nach São Paulo in Brasilien). Außerdem leben in Bolivien (wie auch in Paraguay) Mennoniten sowie Jesuiten. Mit das Erste, was ich über Bolivien lernte: Mein Nebensitzer im Bus erzählte mir beim Grenzübertritt, dass die Damen, die dort am Tisch saßen und Geldwechsel anboten, zur Familie des Präsidenten Evo Morales gehörten. Außerdem gibt es wie in den meisten Ländern hier eine stattliche Anzahl an deutschen Immigranten. In La Paz gibt es sogar einen “Club” von Deutschen und ein Kino, in dem jeden Freitag deutsche Filme (z.B. “Das Wunder von Bern”) gezeigt werden.

In Bolivien protestieren die Leute viel. Im tropischen Tiefland plant die Regierung, eine Straße durch den Nationalpark und gleichzeitig Wohnzone für indigene Menschen zu bauen. Wochenlange Märsche von tausenden Menschen aus dem Tiefland bis in die Stadt La Paz drückten den Unmut aus.

In Bolivien gibt es ein interessantes Phänomen, seinen Wohlstand zu zeigen: Man macht sich auf die Zähne – möglichst in den vorderen, sichtbaren Reihen – einen Aufsatz aus etwas Glitzerndem, z.B. Gold, drauf. Was bei uns eher als hässlich angesehen würde, ist in Bolivien schick und Statussymbol. Klassische Gruppe, die das trägt, sind anscheinend die Metzger.

Im Oktober 2011 fanden zum ersten Mal Wahlen statt, in denen das Volk direkt Judikative und verfassungsgebende Gewalt wählen konnte, zumindest die Kandidaten dafür. Vorher wurden diese Positionen per indirekter Wahl besetzt und so hat Freund Vetterleswirtschaft ganz gewaltig mitgespielt, dem man nun den Garaus (schreibt man das so?) machen möchte.

Wanderungen im bolivianischen Hochland können sehr einsam sein. Auf manchen Trecks sieht man nur wenige Einheimische und wie ich hier (Taquesi-Treck) keinen einzigen Touristen
Wanderungen im bolivianischen Hochland können sehr einsam sein. Auf manchen Trecks sieht man nur wenige Einheimische und wie ich hier (Taquesi-Treck) keinen einzigen Touristen

Über die Zustimmung zur Arbeit der Regierung habe ich verschiedene Aussagen gehört. Fakt scheint jedoch, dass das typische Phänomen der Länder mit nennenswertem Anteil an arm oder nahe der Armut lebenden Menschen besteht: die Regierungsanwärter gehen vor allem in Gegenden der armen Leute auf Stimmenfang, versprechen ihnen dies und jenes, sacken ihre Stimmen ein und machen am Ende wenig oder nix für diese Armen.

Das Land entwickelt sich, wenn auch sehr langsam. Was aus meiner Sicht am meisten fehlt, ist Bildung in Breite des ganzen Volkes. Grundstein für ein entwickeltes Land – wie in Chile beim Kampf um ein kostenloses Schul-/Bildungssystem propagiert wird – ist ein gut gebildetes Volk. Ich teile diese Meinung, das habe ich auf dieser Reise erkannt. Und mindestens einen genau so wichtigen Anteil an der Bildung bildet dabei die Bildung zu Hause, nämlich die Erziehung, Grundlage für eine “gesunde” Einstellung  zu Umgangsformen und der “Motivation”, sich zu bilden. Und warum man sich bildet, u.a. damit man eine Arbeit ausüben und sein Täglich Brot verdienen kann. So, jetzt hab ich´s euch aber gezeigt!!

Fehlende Bildung auch bezüglich des Bewusstseins bezüglich Umweltschutz. Von allen Ländern am meisten Müll auf den Straßen, in den Vierteln. An Stadteingängen ist oft mitten in der Pampa eine “wilde” Müllhalde zu sehen. Es scheint aber auch gar nicht zu stören, das viel Müll rum liegt, das gehört einfach dazu.

Bolivien ist nicht unbedingt sehr westlich orientiert. Dennoch wirbt hier Crusty der Clown für Eiscreme
Bolivien ist nicht unbedingt sehr westlich orientiert. Dennoch wirbt hier Crusty der Clown für Eiscreme

Bolivien steht in einem schon lange bestehenden Konflikt mit Peru und vor allem Chile, an das sie im Pazifik-Krieg (1879 – 1883) ihren Meerzugang verloren hatte. Darauf erheben die Bolivianos heute noch Anspruch und versuchen, in Verhandlungen ihren Zugang zum Meer zurück zu bekommen. Regelmäßig werden dann Politiker, allen voran Präsident Evo Morales, zitiert, dass man auf gutem Wege sei, eine Einigung (im Sinne von: Meerzugang zurückbekommen) zu erzielen. Worauf hin dann die politische Führung Chiles mehr oder weniger das Gegenteil zum Besten gibt. Das geht sogar so weit, dass vor einiger Zeit Morales seine Marine aufgefordert hat, gerüstet zu sein, für den Moment, in dem sie wieder Meerzugang haben. Ich schätze Chile so ein, dass es Bolivien seinen Zugang zum Meer nicht zurückgeben wird.

Aufgrund seiner noch vorhandenen Ursprünglichkeit und seiner Einfachheit gepaart mit den großen Unterschieden zu europäischen Ländern gehört Bolivien unbedingt zu einem längeren Südamerika-Besuch dazu. Die für südamerikanische Verhältnisse sehr ansehnlichen und zudem interessanten Städte reizen außerdem. Genauso wie die vielfältigen und teils beeindruckenden Natur-Attraktionen.

Pommes Frites in der Suppe. In Bolivien keine Seltenheit
Pommes Frites in der Suppe. In Bolivien keine Seltenheit
Typisches Essen/Gerichte/Getränke aus Bolivien:

Pastel, Buñuelo (manchmal mit Anis), Silpancho, Sopas (maní, fideo, quinoa, sémola, arroz, blanca, clara, verduras, trigo, chairo,…), Locro (de Gallina), Locro (aus Santa Cruz), Papa rellena, Tucumanas, Salteñas, Empanadas, Picante de Pollo, Chuleta, Milanesa, Hamburguesa (auf Teller und nicht im Weckle), Sábalo, Surubí, Pacú, Sonso, Coca, Avena (con leche), Quinoa con leche, Quinoa con manzana, Sajta, Fritanca de chancho.

Chuño, Somó: Chicha de maíz, Masaco, viele Brot- und Wecklesorten, eine Art Wurst gefüllt mit u.a. Reis, Chicharron (meist de pollo), Chicha, Linaza, Refresco, Rotwein mit Cola, Tojorí, Api, Majarito, Plato cubano, Alfa-Yerba mit heiß Wasser aufgebrüht, Makita, Falso conejo, Llauchas, Marraqueta, Saice.

Auswahl an bolivianischen Biermarken: Paceña, Cruceña, Huari

Durchschnittliche Ausgaben pro Tag, nicht beinhaltet natürlich die Ersetzung meines verloren gegangenen Gepäcks (Rucksack war nach Busfahrt nicht mehr im Gepäckraum, Anm. d. ulmis Reisen – Redaktion), lagen bei ca. 10,85 Euro.

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