Venezuela ist ein Land, das stark vom Präsidenten Hugo Chavez (seit Dez. 98 an der Macht) regiert und mehr noch reguliert und beherrscht wird.
(Meine Artikel über die Länder Südamerikas sind umfangreiche, einzigartige, ehrliche, natürlich subjektive, aber dadurch sehr persönliche Eindrücke, wie ich sie jeweils aktuell bei meinem Aufenthalt im jeweiligen Land erlebte. Sie werden daher persönliche Meinungen enthalten und “die Fakten” entspringen keiner wissenschaftlichen Recherche und können somit Unschärfen aufweisen)
Es soll ein Sozialismus darstellen, hat mit sozial aber auch gar nix zu tun. Obwohl das Land Ölreichtum und für Tourismus herausragende Möglichkeiten besitzt, schafft es dieser Mann nicht, dass zumindest die meisten Menschen einigermaßen davon leben können. Stattdessen macht er in an eine bestimmte Zeit in Deutschland erinnernden Veranstaltungen in z.B. Sporthallen (alle tragen rote Shirts) eine heile Welt vor und schmeißt Parolen raus, was jetzt gerade anders gemacht werden muss, z.B. hat er einmal was vom Schutz und Erhalt der Lebensmittel erzählt. Da haben irgendwelche Leute ihre landwirtschaftlichen Produkte vorgestellt und er ist wie ein Kumpel mit denen umgegangen zur Show und dann mussten sie sich teilweise noch rechtfertigen, dass das jetzt nicht vom schlechten Kapitalismus sondern vom guten Sozialismus geprägt ist (das Produkt).
Es fällt immer wieder der Strom aus und jeden Tag wird in bestimmten Zonen der Saft abgedreht (heute die eine Straßenseite, morgen die andere), weil der Präsident sagt, dass zu viel Strom verbraucht wird. Man bekommt an den Automaten (wenn sie mal funktionieren) fast nie Geld als Tourist. Egal woher man kommt oder bei welcher Bank man ist.
Die offiziellen Wechselkurse sind je nach Absicht unterschiedlich und für Touristen nicht gerade attraktiv, so dass das Reisen hier locker so teuer (oder teurer) wird wie in südeuropäischen Ländern wie Spanien oder Portugal, die aber besser entwickelt sind. Daher läuft parallel überall das illegale Wechselgeschäft, Chavez hat an dieser Stelle also nix gekonnt. Die 60% Inflation machen das auch nicht besser (Ziel dieses Jahr: 40%). Die Parallelwechselkurse dämpfen die Reisekosten etwas, aber dafür dass man hier viele Übernachtungsmöglichkeiten zu günstigem Preis (z.B. Camping) aufgrund fehlender Infrastruktur und nicht zuletzt Sicherheit nicht hat, würde man sogar in Deutschland billiger rumkommen können.
Die Sicherheit hat in den letzten Jahren stark nachgelassen und es gibt Städte da ist nachts keiner draußen, alle verbarrikadieren sich regelrecht. Ein Hostelbesitzer (aus D.) hat mir erzählt, dass er nach Kolumbien gehen will, weil die Leute dort nicht nur netter sondern es auch sicherer ist. Ja genau, das Kolumbien, das den schlechten Ruf hat.
Im Fernsehen gibt es auch meist sonntags einen “Hallo, Herr Präsident-Tag”, wo Chavez z.B. über so wichtige Dinge wie Baseball (Nationalsport) spricht. Einmal (es war nicht Sonntag) war auf einmal das Programm weg. Nur wenige Sender liefen noch und dort kam Chavez…
Der Australier und die Engländerin, die ich hier in Ciudad Bolívar getroffen habe, haben erzählt, dass ein Gebrauchtwagen hier viermal so teuer wie ein Neuwagen ist, weil man auf Neuwagen so eine lange Wartezeit hat und daher der Marktpreis für sofort erhältliche Gebrauchte eben viel teurer ist.
Die Leute, die man trifft, sind meist sehr offen und freundlich, reden einen an und helfen gerne. Geht man aber z.B. in die Bäckerei und möchte was kaufen wird man erstmal ignoriert. Selbst an den Straßenständen gibt es meist feste Preise (nur bedingt verhandelbar) und die Erfahrung hat gezeigt, dass man auch als Fremder den gleichen Preis wie die Locals bekommt. Überall gibt es billig Früchte (3 Mangos für ca. 1,50-2 Euro, ein Kilo Bananen für 50-70 Eurocent (je nach Wechselkurs). Leider habe ich aus Spargründen noch nicht viel Gebrauch von dem vielfältigen Obstangebot machen können. Vom billigen Rum kriegt man Sodbrennen.
Der Hostelbesitzer, bei dem ich gerade bin bekommt seit über einer Woche keine Bierlieferung, weil der Präsident gerade die Fabrik verstaatlicht. Autofirmen wie Chevrolet und Toyota verlassen das Land mit ihren Fabriken z.B. ins “sichere” Kolumbien. Anscheinend ist Chevrolet auch für Regierungskarren beliebt, konnten aber zuletzt nicht gebaut werden, weil die Einfuhr von Teilen für dieses Auto unterbunden wurde. Autos sind oft die letzten Schrottkarren, wichtig sind die Musikanlage und die Bremsen. Milch und Zucker gibt´s oft auch nicht zu kaufen. Könnte gut sein, dass dieses Land irgendwann auch mal im Bürgerkrieg landet oder ein Putsch stattfindet.
Wenn man mehre Tage irgendwo ist, werden die Menschen dort “zutraulicher “ und reden einen schon mal mit “Hola chico, cómo estás?” an und reden mit einem. Beim fertig schreiben dieses Berichtes saß ich grad vor einer (ich denke) Uni und die Mädels haben besonders nett gekuckt und gegrüßt. Man sagt nicht adiós sondern ciao oder hasta luego (wobei das hasta quasi nicht gesprochen wird). Sie reden sehr schnell, teilweise undeutlich und nicht gerade Schulbuchspanisch. Das Essen hat bisher keine Probleme gemacht, selbst Saft vom Straßenstand mit Eis oder eine geschenkte Mango (mit Schale gegessen) nicht.
Natürlich leben die Leute alle viel entspannter als in Deutschland und man hängt halt einfach mal am Straßenrand ab und lehnt an einer Laterne an einer Palme. Die Frauen sind oft gut gebaut, aber es rennen auch genug Granaten rum (v.a. wenn sie noch jung sind) und es wird klar, warum die Miss World oft aus Venezuela kommt. Wenn sie dann älter werden, schlägt wohl das oft frittierte Essen zu Buche.
Das Land ist schwierig zu bereisen, als nicht Pauschaltourist sollte man sehr abgeklärt und gelassen sein. Als verwöhnter Pauschaltourist sollte man beim Pauschalprogramm bleiben. Man benötigt Zeit, v.a. wenn man kein Bargeld zum Tauschen hat. Oft wird die Möglichkeit genutzt und Geld an einen europäischen Hostelbesitzer innerhalb Europas überwiesen, um so Unterkunft, evtl. Ausflüge zu bezahlen und evtl. an Bolívares zu kommen, was natürlich mal ein paar Tage dauern kann. Schade, dass man nicht überall bedenkenlos abends rausgehen kann. Trotzdem ist es sehr interessant, es gibt sehr viel zu sehen und auf dem “Rückweg” von Süd-Südamerika werde ich mir bestimmt noch mehr ankucken.
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7 Gedanken zu „Venezuela: persönliche Eindrücke und Erfahrungen (Original erschienen im Juni 2010)“