Heimkommen oder der „Blues zu Hause“

Man hatte es geschafft. Am Anfang war die Entscheidung, die sich viele Menschen nicht trauen zu fällen und noch mehr Menschen auf der Welt nicht einmal in Erwägung ziehen können: Man wollte die große Reise in Angriff nehmen, für eine gewisse Zeit alles hinter sich lassen. Man arbeitet akribisch auf den Tag der Abreise hin, voller Vorfreude. Dann kommt der Moment, wo man im Flieger sitzt und denkt: Jetzt geht’s endlich los! Es ist der Anfang und der Reisende lebt anschließend seinen Traum. Wie fast alle seiner Spezies bereut er diesen Entschluss nicht. Er wird während eines schier nicht endenden „Urlaubes“ beneidet von vielen der Zurückgebliebenen. Er genießt alles in vollen Zügen, erlebt Vieles, lernt täglich tolle Dinge und Menschen kennen. Macht sich wertvolle Gedanken über sich und das Leben. Die Reise war die wohl beste Entscheidung seines Lebens.

Und eines Tages kehrt er zurück. Voller Freude, seine vertraute Heimat und die Bekannten und Verwandten wieder zu sehen. Er fühlt sich gut, alle interessieren sich für sein „Hobby“, das Langzeitreisen. Er ist endlich wieder zuhause, wo er sich doch am wohlsten fühlt. Und endlich wieder einen Kleiderschrank benutzen kann. Die Tage sind prall gefüllt, tagsüber die wichtigsten organisatorischen Dinge erledigen, zwischendurch und abends Leute besuchen. Wie schön!

Oh wie schön ist...die Heimat. Die Neckarkulisse in Rottenburg am Neckar, mein Reisemaskottchen, der Neckarbär. Foto-Shooting für meinen Reiseblog, vor der Reise
Oh wie schön ist…die Heimat. Die Neckarkulisse in Rottenburg am Neckar, mein Reisemaskottchen, der Neckarbär. Foto-Shooting für meinen Reiseblog, vor der Reise

Schnell packt einen dann aber der Alltag wieder. Zunächst in Form eines „Alltags eines zurückgekehrten Reisenden“, der „plötzlich“ wieder zurück ist und keinen Plan hat, was er eigentlich in diesem sogenannten Alltag künftig tun möchte. Eigentlich war dies doch eines der „Reiseziele“. Nämlich herauszufinden, wo man leben möchte und wie. Aber wie hätte die Antwort gefunden werden können, wenn man sich weit weg von alldem befand. Und die Gedanken sollten schließlich nicht um potentielle Jobs, mögliche Wohnorte oder künftige Lebensweisen kreisen! Total abschalten, sich treiben lassen und die Reise genießen war das Credo.

Zeit zum Nachdenken, auf einem Baumstamm liegend in La Pedrera, Uruguay
Zeit zum Nachdenken, auf einem Baumstamm liegend in La Pedrera, Uruguay

Mir ging es nicht anders. Bereits in den letzten Jahren vor meiner Reise wurde mir immer mehr bewusst, was mir wirklich wichtig ist im Leben. Und zwar nicht das: Sich jeden Tag von morgens bis abends in einer Firma verheizen. Jedes Wochenende schon Monate im Voraus verplanen. Immer alles richtig und möglichst korrekt machen wollen. Weiter schaffen. Wohneigentum klar machen oder selber bauen. Heiraten und Kinder bekommen. Und immer schön im Rhythmus unserer Gesellschaft im großen Hamsterrad mithecheln. Hat mal einer nachgedacht, mit was wir uns eigentlich beschäftigen den ganzen Tag? Die einen diskutieren in sogenannten Social Media Netzwerken über irgendwelche sinnlosen Themen. Wieder andere haben hoch bezahlte Jobs und verdienen einen A… voll Geld damit, ein Produkt möglichst bekannt zu machen. Oder ein Projekt möglichst schnell und finanziell rentabel über die Bühne zu bringen ohne dass es dabei inhaltlich an die Wand gefahren wird. Dieses eine Bauteil muss noch einmal gut analysiert werden, damit es irgendwo auf der Welt noch billiger bezogen werden kann. Wer schafft denn wirklich noch eine Sache, die wirklich nützlich ist und in sich einen Wert hat und nicht nur einen Kostenfaktor darstellt? Schaltet man die Nachrichten ein, reduziert sich fast jede Meldung irgendwie am Ende doch auf eine Quintessenz rund ums Geld. Und so verlieren wir immer mehr den Sinn für die – oft kleinen – angenehmen Dinge des Lebens. Zeit ist so ein Ding. Wir haben sie nicht einmal, jemandem richtig zuzuhören. Schon gar nicht, wenn es jemand Fremdes ist. Oder mal jemandem richtig engagiert zu helfen. Nicht nur fremden, bedürftigen Personen. Sondern auch mal einem Freund.

Das kann’s doch nicht gewesen sein!?

Für die meisten schon. Und wenn sie sich dabei gut und zufrieden fühlen, warum nicht. Für einige Langzeitreisende stellen sich aber genau die obigen Fragen. Oft schon vor der Reise. Meistens noch in verstärktem Ausmaß nach der Reise. Hinzu kommen noch so pragmatische Dinge wie Probleme, morgens früh aufzustehen (ich persönlich habe damit keine Schwierigkeiten). Oder beispielsweise sich wieder irgendwo einordnen zu müssen. Und der große Luxus in unserer heutigen gut entwickelten (westlichen) Welt zwischen zig Lebensmodellen entscheiden zu können bzw. zu müssen. Der Reisende befindet sich, wie man im Reise-Chargon sagt, im Zustand des „Blues“. Sozusagen eine Sinn- und Wohin geht’s? – Krise, die unter selbigem Namen, jedoch mit anderen Inhalten, auch unterwegs auftritt (siehe Artikel „Blues unterwegs“). Das klingt alles nach Meckern auf hohem Niveau, ist aber nun mal eine nicht unübliche Gefühlslage unter Reisenden, welche auch offen in Foren diskutiert wird.

Sie geht aber auch vorbei und da ist der positive Ansatz: Schließlich hat man tatsächlich Unvergessliches erlebt und sogar vollbracht. All die Gedankenspiele und schwankenden Stimmungen sollten doch positiv genutzt werden. Vielleicht stellt man auf diese Weise fest, was genau das Richtige für einen ist. Außerdem kann auch noch nach der Reise vom Erlebten in Form von angenehmen Erinnerungen profitiert werden. Vor allem wenn ich es als Reisender weiterhin schaffe, mich mit der Reise zu beschäftigen. Die Erinnerungen aufrecht zu erhalten, sie teilen, Wissen und Erfahrungen weitergeben. Dafür ist man zu einem großen Teil selbst verantwortlich, denn gerade als Alleinreisender hat man für gewöhnlich kaum jemanden mit dem man alles Erlebte teilt. Für Langzeit-Reisende ist es – im üblichen Umfeld – sogar schwierig jemanden zu finden, der richtig versteht, von was man redet.

Hast Du Fragen zu diesem Artikel? Melde Dich bei mir!

Ein Gedanke zu „Heimkommen oder der „Blues zu Hause““

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.